Heute vor genau 10 Jahren wurde eine Pressemitteilung in die Welt gesetzt, die nicht wenige für einen Aprilscherz hielten: „Crimmitschau verpflichtet zwei NHL-Spieler“. Damit war das kleine Städtchen in Sachsen der erste Eishockey-Standort in Deutschland, der den Lockout in der NHL für sich zu nutzen wusste und plötzlich kannte auch im hinterletzten bayerischen Kuhdorf jeder die Eispiraten Crimmitschau. Was für ein Coup da gelungen war mit Wayne Simmonds und Chris Stewart! Und es sollte ja auch nicht bei den beiden bleiben!

In Windeseile von der Idee zur Umsetzung

Eigentlich war der verrückte Plan am Anfang ein ganz anderer. Wie Ronny Bauer, sportlicher Leiter der Eispiraten, exklusiv für etconline verrät: „Ich hatte damals Dean Grillo kontaktiert, ob Chris Stewart und sein Bruder sich vorstellen könnten, während des Lockout für uns zu spielen.“ Chris Stewarts älterer Bruder Anthony war zu dieser Zeit bei den Carolina Hurricanes aktiv, Chris selbst spielte bei den St. Louis Blues.

Dean Grillo, der den Fans aus seiner Crimmitschauer Zeit 1997/98 noch ein Begriff sein dürfte, arbeitete zu dieser Zeit bereits für eine Spieleragentur, die zahlreiche NHL-Stars betreute. Begeistert von der Idee war Grillo sofort, gab aber den entscheidenden Hinweis, dass Chris´ Kontakt zu seinem „Sandkastenfreund“ Wayne Simmonds (Philadelphia Flyers) noch viel besser gewesen sei als zu seinem Bruder – damit war das kühne Vorhaben zementiert. Wir schreiben Donnerstag, den 20.09.2012.

Danach ging nach Aussage von Ronny Bauer alles ganz schnell: „René Rudorisch und ich hatten dann gemeinsam Kontakt zu Eustace King, dem Agent der Beiden. Lohn war alles kein Thema, aber als problematisch stellte sich die Versicherungssumme für die Zwei dar, welche fast im sechsstelligen Bereich lag.“ Die Skepsis, diese enorme Summe quasi übers Wochenende aufbringen zu können, war groß, doch schon am Samstagnachmittag war der Deckel drauf. Bauers Dank „an all die verrückten Sponsoren“ hält bis heute an, wobei „verrückt“ hier ganz eindeutig anerkennend und positiv gemeint ist.

Am Sonntag, den 23.09.2012, spielten die Eispiraten daheim gegen Bietigheim. Vor und nach dem Spiel hatten René Rudorisch und Ronny Bauer aber noch ganz andere Erledigungen zu machen, denn der entscheidende Schritt stand noch bevor! Sicherlich mit einiger Aufregung und Nervosität hielten die beiden nach dem Spiel eine Telefonkonferenz mit Berater Eustace King ab. Das Ergebnis: DER DEAL STEHT.

Der anfänglichen Überraschung, dass es tatsächlich geklappt hat, wich die Euphorie. „Dann war alles nur noch Wahnsinn!“, sprüht es aus Bauer mit glänzenden Augen heraus. Am 24.09.2012, ein Montag, wurde die Öffentlichkeit informiert. Und das Crimmitschauer Fanlager verwandelte sich in ein Tollhaus, der Rest der deutschen Eishockey-Szene schaute indes verblüfft, aber bestimmt auch neidvoll in Richtung Westsachsen. Der kleine Zweitligastandort aus Westsachsen war in der deutschen Eishockeyszene plötzlich in aller Munde, zwischen Hamburg und München, zwischen Berlin und Köln. Die Eispiraten waren mit ihrem fulminanten Coup der Auslöser einer Welle an NHL-Spielern, die darauf hin den Weg nach Deutschland fanden.

Die Wochen der Crimmitschauer Euphorie

Am 25.09.2012 kamen die zwei NHL-Stars am frühen Nachmittag im Hotel in Cimmitschau an. Es ging umgehend zum ersten Training weiter in den Sahnpark, im Anschluss folgte eine Pressekonferenz mit zwei gut aufgelegten NHL-Cracks und sichtlich stolzen Eispiraten-Verantwortlichen.

 

Ihre erste Partie im heiligen Trikot bestritt das Duo am Freitag, 28.09.2012, im Derby gegen Weißwasser – einen besseren Rahmen hätte es kaum geben können! Vor über 4.700 Fans siegte Crimmitschau mit 2:1 nach Verlängerung. Im Rahmen des auf 4 Wochen ausgelegten Vertrags mit den Beiden folgten noch 8 weitere Spiele, die die Eispiraten-Fans in höchste Verzückung versetzten. Von den 9 Partien mit NHL-Beteiligung konnten 6 gewonnen werden. Bitter und ärgerlich war dabei sicherlich die 4:5-Niederlage im letzten Heimspiel gegen Dresden, denn vor 5.100 Fans hätten sich Stewart und Simmonds ihren Abschied vom Sahnpark bestimmt erfolgreicher vorgestellt.

Der Abschied war natürlich unausweichlich, zumal in Amerika die Verhandlungen zwischen Liga und Spielern einen gewissen Fortschritt erzielten. Chris und Wayne zog es dann nach Ablauf der vierwöchigen Vertragslaufzeit weiter nach Liberec in Tschechiens 1.Liga. Womit damals noch keiner rechnete: Für Chris Stewart sollte es nur ein vorläufiger Abschied vom Sahnpark werden! Ronny Bauer erinnert sich: „Es hatte beiden nicht so gefallen in Tschechien und wir standen noch in Kontakt. Chris kam dann nochmal zu uns und Wayne dachte, der Lockout wird gleich vorbei sein und wollte nicht nochmal wechseln.

In der Zwischenzeit hatten Ronny Bauer und seine Mitstreiter mit einer gewissen Routine auch schon wieder für Ersatz gesorgt: Clarke MacArthur von den Toronto Maple Leafs wechselte in den Sahnpark, so dass es dann nach Chris Stewarts umjubelter Rückkehr aus Tschechien kurzzeitig nochmal ein NHL-Duo im Eispiraten-Trikot zu sehen gab. Dass der Tag des endgültigen Abschieds kommen musste, war zu dem Zeitpunkt aber schon absehbar, da sich in Nordamerika mehr und mehr eine Einigung im Lockout abzeichnete. Die anfänglichen Spekulationen, dass die NHL-Saison 2012/13 gänzlich ausfallen könne, verpuffte zusehends.

Am 6. Dezember 2012 schließlich grüßte Chris Stewart die Crimmitschauer Fans ein letztes Mal vom Flughafen. Wenig später – er bestritt noch die Partie gegen Heilbronn am 07. Dezember – folgte auch Clarke MacArthur dem Rückruf in die NHL. Einen festen Platz hatten sich Chris, Clarke und Wayne in den Herzen der Eispiraten gesichert!

 

Vor allem Chris Stewart ist als Type in bleibender Erinnerung geblieben, nicht zuletzt durch den Fight gegen Bremerhavens Sergej Stas.

Was hat es gebracht?

Generell gab es in Deutschland während des Lockout-Spektakels immer wieder Stimmen, dass die kurzzeitige Verpflichtung von NHL-Spielern nichts bringen würde. Manche sprachen gar von Wettbewerbsverzerrung. Das Fazit von Ronny Bauer fällt deutlich positiver aus, denn „für das Image der Eispiraten war die Verpflichtung ein riesen Gewinn“ und auch kaufmännisch kam die GmbH auf eine „schwarze Null“. Sportlich gesehen war es dennoch auch ein zweischneidiges Schwert: „Wir haben sportlich vom Mitwirken der drei NHL-Spieler profitiert, hatten dadurch aber auch Unruhe in der Mannschaft“, muss Ronny Bauer konstatieren. Mit der Unruhe ist sicherlich auch die enorme Fluktuation im Eispiraten-Kader der Saison 2012/13 gemeint, verbunden mit immer wieder neuen Aufstellungen. Am Ende wurden die Playoffs um Haaresbreite verpasst.

Wie ging es für die NHL-Stars weiter?

Wayne Simmonds setzte seine Karriere in der NHL erfolgreich fort und lief seither neben Philadelphia auch noch für Nashville, New Jersey und Buffalo auf. Seit drei Spielzeiten steht er in Diensten von Toronto und hat inzwischen 1.072 NHL-Partien absolviert (271 Tore, 275 Vorlagen). Weniger glücklich lief es für Clarke MacArthur. Bis 2014/15 bleib er Leistungsträger in Toronto und Ottawa, in den Spielzeiten 2015/16 und 2016/17 wurde er aber durch eine schwerwiegende Gehirnerschütterung ausgebremst und konnte nur noch 27 Partien absolvieren. Seine Karriere musste er nach 582 Spielen (140 Tore, 179 Vorlagen) in der besten Liga der Welt schließlich vorzeitig beenden.

Interessanter aus Crimmitschauer Sicht lief es bei Stewart, der zu seinem Arbeitgeber nach St. Louis zurückkehrte und dann bis 2017/18 außerdem noch für Buffalo, Minnesota, Anaheim und Calgary auflief. Verletzungsbedingt zog er sich nach der Saison 2017/18 zunächst aus dem Profigeschäft, wechselte dann aber während der Spielzeit 2018/19 nach England in die EIHL. Eine Zeit, in der es auch bei den Eispiraten nicht 100%ig lief und Verstärkung gesucht wurde. Das feuerte die Gerüchteküche in Crimmitschau natürlich an und die Hoffnungen auf ein Comeback waren plötzlich da. Chris´ Wechsel nach England rief auch Ronny Bauer auf den Plan: „Ja, wir waren aktiv dran, aber er hatte seinerzeit noch mit Verletzungen zu kämpfen und deshalb hat er wahrscheinlich auch abgesagt.“ Und so blieb die Rückkehr ins Eispiraten-Jersey leider nur ein Wunschtraum.

Und würden die Eispiraten bei einem zukünftigen Lockout sich wieder um einen NHL-Crack bemühen? Ronny Bauer unmissverständlich: „Jederzeit!

Bilder ihrer Zeit in Crimmitschau sowie weitere Infos findet Ihr in den Spielerprofilen von Chris Stewart, Clarke MacArthur und Wayne Simmonds. Weitere Infos zur Saison 2012/13 gibt es in der Rubrik „History“.