1560 Eishockeyspiele, davon etwa 120 Spiele in der DEL und etwa 750 in der zweiten Liga, 0 Tore und 0 Assists – auf den ersten Blick liest sich eine solche Statistik nicht so toll. Allerdings reden wir heute nicht über eine Spielerkarriere, sondern über einen Teil eines oft gescholtenen, mit wenig Ruhm gepriesenen dritten Teams auf dem Eis! Die Rede ist von Stefan Vogl, der in diesem Jahr seine Abschiedstour durch die Eisstadien Deutschlands bestritt. Der 49jährige, der am 28.12.2019 mit dem Löwenduell Bad Tölz gegen Frankfurt seine aktive Schiedsrichterkarriere beendet, wird dann als Hauptschiedsrichter 1005 Spiele geleitet haben. etconline sprach mit dem Randmünchner, der hauptberuflich als IT-Administrator tätig ist, über seine Karriere und seine Zukunft, um zu zeigen, dass hinter netten Fanbezeichnungen angefangen von „Körperteilen“ bis „Tierarten“ durchaus ganz normale Menschen stecken können.
etconline: Wie kommt man auf die haarsträubende Idee, sich zwischen zwei Mannschaften zu stellen, die von zwei Fanlagern angefeuert werden und diese mit Sicherheit den Unparteiischen nicht mit Gegenliebe überschütten?
Stefan Vogl: Als ich mit dem Amt des Schiedsrichters begann, habe ich mir darüber noch nicht so viele Gedanken gemacht. Im Landesverband hat man ja nur wenige Zuschauer, aber auch die können ungemütlich werden. Hier lernt man schnell, sich ein dickes Fell anzueignen. Jedoch überwiegt nach wie vor die Lust sich der Herausforderung zu stellen, ein Eishockeyspiel im Rahmen der Regeln zu leiten und dem Spiel einen fairen Verlauf zu geben. Das ein Fan Entscheidungen gegen seinen Verein immer etwas anders beurteilt als der Schiedsrichter, damit müssen und können wir gut leben. Am Ende zählt nur, es sollte die richtige Entscheidung gewesen sein.
etconline: Hast Du vorher Eishockey gespielt? Spielst Du aktuell noch irgendwo in einem Hobbyverein?
Stefan Vogl: Nein, ich bin zu spät zum Eishockey gekommen und war nur Hobbyspieler, ehe mich das Schiedsrichter-Fieber gepackt hat.
etconline: Du gehst nun mit 49 Jahren in die Schiedsrichterrente. War ein möglicher Verlängerungsantrag nicht die Option?
Stefan Vogl: Es wurde vor einigen Jahren das Alter von 45 Jahre als Altersgrenze festgelegt. Ab dem 45. Lebensjahr muss von Saison zu Saison ein Verlängerungsantrag gestellt werden. Daher drehe ich schon so ein paar Ehrenrunden und nach 28 Jahren als Schiedsrichter ist halt leider irgendwann Schluss. Meine größten Ziele habe ich erreicht und somit beendet man besser rechtzeitig selbst seine Karriere, bevor dies andere für einen entscheiden. Ich habe wirklich eine schöne Abschiedstour hinter mich bringen können und damit gehe ich mit einem gewissen innerlichen Frieden in die Schiedsrichterrente.
etconline: Wie wirst Du Deine Zukunft gestalten? Bleibst Du dem Eishockey irgendwie erhalten oder begibst Du Dich für die kommenden Jahre zum Zuschauen in irgendeinem Eisstadion auf die Tribüne?
Stefan Vogl: Es ist alles offen und noch nichts entschieden. Im Laufe der Jahre hat sich im Schiedsrichterwesen vieles verändert. Daher schaue ich mir die weitere Entwicklung evtl. aus der Ferne an, oder helfe als Coach dem Nachwuchs-Schiedsrichtern weiter. Aber das steht alles in den Sternen.
etconline: Was waren Deine persönlichen Highlights in den Jahren Deiner Schiedsrichtertätigkeit?
Stefan Vogl: Definitiv die Finalserie zwischen Rosenheim und Landshut um die Meisterschaft in der 2. Liga. Da durfte ich gleich drei Spiele leiten, was zum Ende einer Saison schon eine Auszeichnung ist. Dazu kam jetzt zum Ende meiner Laufbahn noch das Winter Derby in Offenbach. Dieses Event rundete meine Karriere so richtig ab. Es war ein absolute tolles Erlebnis, bei dem zum Glück das Wetter hielt und durch die tolle Kulisse und Stimmung im Stadion, unvergessen bleiben wird.
etconline: Was war dir lieber – die ruhigen und flüssigen Spiele oder solche, wo es auch mal etwas derber zur Sache ging?
Stefan Vogl: Das Eishockey hat sich im Laufe meiner Schiedsrichterzeit sehr verändert. Ich hatte noch die Spiele, bei denen man tatsächlich nicht jedes Vergehen aus dem Spiel genommen hat, sonst wäre gar kein Spielfluss zustande gekommen. Dann hat die NHL die Anwendung der Regeln verschärft und wir sind damit mitten unter der Saison nachgezogen. Plötzlich wurde jedes Vergehen geahndet und das Spiel änderte sich völlig, es wurde schneller und weitere Regeln sorgten dafür, dass es noch intensiver wurde und kaum noch Unterbrechungen zu Stande kamen. Damit musste auch das vier Mann System eingeführt werden, ansonsten schafft man ein schnelles Spiel läuferisch kaum noch und ist nicht mehr auf der Höhe des Spiels. Um die eigentliche Frage zu beantworten, ein Spiel in dem es etwas härter zur Sache geht, fordert einen Schiedsrichter auch mehr ab und sind definitiv die Spiele, die man lieber hat. Eben Derbys oder wichtige Platzierungsspiele, bis hin zu den Playoff-Spielen.
etconline: Gab es Entscheidungen, die Du im Nachhinein sogar bedauert oder bereut hast?
Stefan Vogl: Diese Frage geht sicherlich in Richtung „Fehlentscheidungen“. Ein solche zu bereuen wäre der falsche Ansatz. Man muss aus tatsächlichen Fehlentscheidungen lernen und versuchen diese beim nächsten mal möglichst zu verhindern. Die beste Entscheidung war es, Schiedsrichter zu werden. Es hat mir so viel für mein Leben gebracht und ich habe tolle Menschen kennen lernen dürfen und konnte dieser tollen Sportart so nahe sein, wie kein Zuschauer.
etconline: Kannst Du Dich an eine Deiner schwierigsten Entscheidungen auf dem Eis erinnern?
Stefan Vogl: Ich musste mich in Mannheim vor vollem Haus gegen meine Kollegen, als auch gegen den international erfahrenen Zeitnehmer durchsetzen, um beim Ersetzen von Strafzeiten keinen Fehler zu machen. Alle wollten anders weiter spielen als ich es wollte und meine Lösung lautete, dass Mannheim als Heimmannschaft 9 Minuten in Unterzahl spielt. Das hat keiner so wirklich glauben wollen, aber ich habe unter dem lauten Pfeifkonzert der Fans kühlen Kopf bewahrt, denn es dauerte gute 5 Minuten bis ich jeden auf meiner Seite hatte und das Spiel so weiter geführt wurde, wie ich meinte. Als sich alles beruhigt hat, gab man mir schlussendlich Recht mit meiner Entscheidung.
etconline: Was waren für Dich von der Fanathmosphäre her die aufregendsten Spiele?
Stefan Vogl: In der DEL geht es in Iserlohn, Augsburg und Straubing am emotionalsten zu. In der DEL 2 geht es in einem gut gefüllten Sahnpark immer heiß her, aber auch die vielen kleineren Stadien der DEL 2 können durch die Nähe zum Spielfeld sehr stimmungsvoll sein. Über die Jahre war ich in Rosenheim nicht der beliebteste Schiedsrichter. Das ändert zwar nichts für das Spiel, aber ungemütlich war es dennoch etwas, wenn man wusste, heute bist du der Buhmann, ganz egal wie das Spiel läuft. Gerne erinnere ich mich auch an das alte Tölzer Stadion, alte offene Ravensburger Stadion und die vier großen Arenen in der DEL (Köln, Berlin, Mannheim und Hamburg).
etconline: Was waren die schönsten Momente, an die Du Dich erinnerst?
Stefan Vogl: Erstes Finale in der zweiten Liga als Linienrichter, mein erstes Hauptschiedsrichter-Spiel und mein erstes DEL Spiel in Augsburg. Natürlich jedes Finale der zweiten Liga, insbesondere die, bei denen die Finalserie endete und somit die Saison zu Ende war und man wusste, heute hattest du das letzte Spiel der Saison. Mit der schönste Moment war sicherlich, als mir telefonisch mitgeteilt wurde, dass ich nach Garmisch zur Vorbereitung eines Nachwuchsspiels fahren soll und vorher noch ein Hauptschiedsrichter Trikot abholen darf. Da war klar, jetzt bin ich Head und ich war damals mit 30 Jahren damit der jüngste Hauptschiedsrichter. Heute ist dies völlig normal bzw. schenkt man noch viel jüngeren Kollegen dieses Vertrauen.
etconline: Gab es auch lustige oder kuriose Situationen, von denen Du berichten kannst?
Stefan Vogl: In Heilbronn kam es zu einer Situation, bei der die Gastmannschaft mit der 1b anrücken musste, weil die Ligenleitung eine Verlegung des Spiels, auf Grund von erkrankten Spielern nicht zustimmte. Erschwerend kam hinzu, dass der Torhüter krank anreiste und nach dem ersten Torschuss das Tor verlassen hat. Das Spiel ging irgendwie 46:3 aus, es war unterhaltsam und furchtbar zugleich.
etconline: Welche Stadien (Standorte – nicht Vereine, Clubs, Fans) mochtest Du und welche weniger und warum?
Stefan Vogl: Es gibt glaub ich bei jedem Schiedsrichter ein Stadion, in dem er sich nicht so wohl fühlt. Das hängt bei jedem von etwas anderem ab. Weniger von Fans oder dem was mal war. Das sind oft Kleinigkeiten, an denen man sich stört und deshalb ungern zu solch einem Spielort fährt. Sei es eine schäbige Schiedsrichterkabine, der Anfahrtsweg oder sonst was. Manchmal ändert sich so etwas auch während der Zeit. Einen klaren Favoriten kann ich hier für mich nicht ausmachen, weder positiv, noch negativ. Ich war überall gerne, nur für mein letztes Spiel habe ich mich bewusst für Bad Tölz entschieden, weil ich dort viele meiner Spiele hatte und es einfach so ein wenig typisch Bayerisch gemütlich ist.
etconline: Bist Du wegen einer Entscheidung schon einmal (neben den normalen Fangesängen) persönlich von einem Fan angegangen worden?
Stefan Vogl: Leider musste ich mal in Schwenningen am Parkplatz auf zwei Herren treffen. Ich war noch mit den Linienrichtern zusammen, ansonsten wüsste ich nicht auf welche Ideen die beiden gekommen wären. So gab es ein paar persönliche Beschimpfungen auf die ich nicht reagiert habe und wir stiegen ins Auto. Es war somit nicht weiter dramatisch, aber schon ein ungutes Gefühl, bei dem eine klare Grenze überschritten wurde.
etconline: Wie kamst Du auf die Idee mit Deiner facebook-Seite?
Stefan Vogl: Das ist ganz einfach, ich selbst war lange Eishockeyfan, ohne blassen Schimmer über Details von Regeln. Hier wollte ich etwas ändern, weil es mich wirklich oft ärgert, „dumme“ Kommentare lesen zu müssen, von Leuten die keine Ahnung haben und dann diese noch als Expertenwissen verbreiten. Mir ist dann richtige Aufklärung wichtiger und vor allem, dass die Fans auch mal den Menschen hinter meinen Namen etwas kennen lernen können. Wir sind ganz normale Typen, jeder sicherlich etwas speziell, aber dennoch Teil des dritten Teams auf dem Eis.
etconline: Werden wir da auch in Zukunft auf dem Laufenden gehalten?
Stefan Vogl: Das kann ich noch nicht sagen. Evtl. bin ich schnell weg vom Thema Eishockey und kann mich gar nicht mehr äußern. Ich werde Entscheidungen von Kollegen eh niemals kommentieren, weil mir das nicht zusteht. Es wäre aber auch denkbar, dass ich später mal über die offiziellen Kanäle mit Videos oder Postings aufkläre, wir werden sehen.
etconline: Wie findest Du die Sache mit dem Huhn in Crimmitschau? Gab es andere Kuroisitäten in Deiner Karriere?
Stefan Vogl: Das Huhn ist mir als Gummihuhn zwar lieber, aber grundsätzlich sind solche Aktionen von den Fans schon lustig. Lieber ein Huhn als die wirklich gefährlichen Gegenstände, wie Münzen, Becher, Feuerzeuge etc. In Crimmitschau habe ich als Linienrichter sogar schon mal ein geschlossenes Klappmesser vom Eis geholt, aber das ist wirklich schon lange her. Sowas bleibt in Erinnerung.
etconline: Abschließend noch die Frage: Haben Dir schon mal ein paar Fans gezeigt, wo Dein Auto steht? 😉
Stefan Vogl: Steht ja schon weiter oben 😉
Vielen Dank für das Interview und alles Gute für Deine Zukunft!