Wenn draußen die Krokusse sprießen, bekommen auch die Eishockey-Fans Frühlingsgefühle, denn für sie und die Teams beginnt die fünfte Jahreszeit. Die Crimmitschauer Eishockeyszene musste sich diese Zeit in den letzten Jahren immer schönreden, gab es doch nur Abstiegskost zu sehen. In dieser Saison hält die fünfte Jahreszeit aber mal so richtig Einzug im Sahnpark, denn es heißt: „Playoff-Viertelfinale gegen den SC Riessersee!“
Die Rollen sind in diesem Duell eigentlich klar verteilt, trifft doch der Erste der Hauptrunde auf den Zehnten der Hauptrunde. Ein detaillierter Blick auf die Garmischer kann aber dennoch nicht schaden, schließlich kann in so einer Playoff-Serie alles passieren und die Eispiraten wollen sicherlich nicht schon nach 4 Spielen in die Sommerpause gehen. Unterziehen wir den SCR also mal einer gründlichen Analyse.
Umfeld
Nach dem Knatsch im Sommer um die Beurlaubung des langjährigen Steuermanns Ralph Bader ist inzwischen Ruhe unter der Zugspitze eingekehrt, nicht zuletzt wegen des sportlichen Erfolges. Der neue Macher beim SCR heißt Udo Weißenburger und hat bislang wohl alles richtig gemacht. Kürzlich wurde mit Stefan Endraß ein Eishockeyfachmann als zweiter Geschäftsführer engagiert. So verfügt der SCR nun mit Weißenburger/Endraß sowie dem Teamchef Tim Regan über ein zugkräftiges Trio an der Spitze. Die erfolgreiche Hauptrunde hat sich auch auf die Zuschauerzahlen positiv niedergeschlagen, denn der Schnitt von 2.360 ist ein Quantensprung im Vergleich zu den letzten Jahren. Seit der Rückkehr in die 2. Liga 2011/12 liegt der Schnitt nämlich erstmals bei über 2.000 Fans pro Spiel.
Hauptrunde
Die Garmisch-Partenkirchner haben sich nach 52 Hauptrundespielen mit 103 Punkten und dank des besseren Torverhältnisses von 196:149 gegenüber Bietigheim den Platz an der Sonne gesichert. Dabei gelangen den Werdenfelsern die zweitmeisten Tore der Liga, während man auch die zweitwenigsten kassierte.
Trainer
Toni Söderholm war ein echter Glücksgriff für die Weiß-Blauen. Noch im Sommer war er ein eher unbeschriebenes Blatt, stand er doch in der Saison 2015/16 selbst noch auf dem Eis (München) und war anschließend 1 Jahr Co-Trainer beim DEL-Champion Doch inzwischen dürfte der 39jährige Finne, der in seinem ersten Jahr als Chefcoach wie eine Rakete durchstartete, ein gefragter Mann auf dem Trainermarkt sein. Mit modernen Methoden hat er dem SCR eine wahre Frischzellenkur verpasst.
Torhüter
Zwischen den Pfosten hat Coach Söderholm mit Kevin Reich (26 Sp, 2.45 GT/Sp, 91.09%, 1 SO) und Matthias Nemec (27 Sp, 2.90 GT/Sp, 90.08%, 0 SO) die Qual der Wahl, muss sich im Vorfeld aber auch auf einen Goalie festlegen, da in einer Playoff-Serie nur im äußersten Notfall auf der Goalie-Position gewechselt wird. Die besseren Karten hat sicherlich Reich, der zuletzt oftmals den Vorzug erhielt.
Die Fangquoten beider Goalies sind im Ligavergleich eher durchschnittlich angesiedelt, was aber nur marginal ins Gewicht fiel, da der SCR mit durchschnittlich 28.5 gegnerischen Schüssen die wenigsten aller Teams in der Hauptrunde zugelassen hat.
Für den Fall der Fälle haben sich die Werdenfelser vor Ende der Wechselfrist noch mit dem DEL2-Bekannten Andrew Hare (ehemals Heilbronn) als zusätzlichen Goalie abgesichert.
Abwehr
In den Top 25 der DEL2 finden sich gleich 3 Garmischer, nämlich Julian Eichinger (52 Sp, 4+32), der langjährige DEL-Crack Stephan Wilhelm (48 Sp, 10+17) sowie der Schwede Joel Johansson (47 Sp, 6+19). Die Drei zeigen neben ihren defensiven Stärken vor allem auch einen wichtigen Esprit im Spiel nach vorne, sodass die Blau-Weißen aus der Abwehr heraus über enorme Spielstärke verfügen.
Dabei dürfen die Leistungen von Felix Thomas (52 Sp, 2+19) und Christian Hummer (48 Sp, 1+11) aber keinesfalls geschmälert werden, stehen sie doch bei den Defendern auf Platz 1 und 3 in Sachen +/- Wertung (+25 bzw. +17).
Simon Mayr ist Verteidiger Nummer 6 und im Bedarfsfall kann Toni Söderholm auch auf den jungen Christoph Frankenberg zurückgreifen.
Sturm
Ein wenig bange wird einem schon, wenn man mal die erste Sturmreihe der Oberbayern betrachtet. Denn da sorgen mit Richard Mueller (51 Sp, 36+44), Andreas Driendl (48 Sp, 30+49) und Lubor Dibelka (48 Sp, 24+32) drei Cracks für mächtig Furore. Gesucht und gefunden kann man da nur sagen, denn fast nach Belieben haben die drei Topstürmer die gegnerischen Abwehrreihen in der Hauptrunde düpiert. Mueller und Driendl landeten in der Topscorer-Wertung auf den Plätzen 1 und 2. Driendl ist zudem frisch gebackener Spieler sowie Stürmer des Jahres in der DEL 2.
Eine Mischung aus Schnelligkeit und Schussgewalt (Mueller), Spielwitz (Dibelka) und Abgezockheit (Driendl) macht diese Reihe so gefährlich.
Eine starke Reihe zu haben, ist schön und gut, aber wenn der Gegner diese aus dem Spiel nimmt, ist es aus mit der Herrlichkeit. Beim SCR – aus gegnerischer Sicht – leider nicht, denn hinter dem Top-Trio der Garmischer lauern noch eine ganze Reihe weitere klasse Stürmer.
Da wäre vor allem der kanadische Goalgetter Louke Oakley (50 Sp, 20+15) sowie der sehr spielstarke Schwede Mattias Beck (40 Sp, 14+20) zu nennen. Jared Gomes (48 Sp, 7+14), der zweite Kanadier im Team, fällt in Sachen Scorerpunkten zwar schon etwas ab, ist aber als Center in der 2. Reihe dennoch ein wichtiger Baustein in den Überlegungen Söderholms.
Kapitän Florian Vollmer (34 Sp, 6+1) sowie Tim Richter (51 Sp, 4+6), Michael Rimbeck (44 Sp, 3+5), Philipp Wachter (32 Sp, 2+3) und Valentin Gschmeißner (52 Sp, 3+1) fügen sich als Stürmer 7 bis 11 in die homogene und stets gefährliche Offensive der Werdenfelser ein.
Verzichten müssen wird Söderholm in den Playoffs aber wohl auf die während der Hauptrunde überaus positiv aufgefallenen Förderlizenzspieler von Partner RB München. Andreas Eder, Jakob Mayenschein und Maximilian Daubner hinterlassen gewiss eine Lücke an spielerischer und läuferischer Qualität, aber der SCR hat dennoch auch ohne die drei jungen Cracks einiges aufzubieten.
Special Teams
Vorsicht ist geboten, wenn der SCR im Powerplay ran darf. Mit einer Erfolgsquote von 20.6% rangiert man nach der Hauptrunde auf Platz 3 in der Liga. 43 von 209 Powerplaysituationen wurden erfolgreich beendet. Driendl (10) sowie Mueller (8) und Oakley (8) erzielten fast 2/3 der Powerplaytore und sollten von den Eispiraten also ganz genau bewacht werden. Vor allem bei Mueller ist der krachende Schlagschuss, der auch gerne mal als Onetimer kommt, eine echte Waffe.
In Unterzahl konnten die Cracks von der Zugspitze 82.2% der Situationen erfolgreich abwehren. Das ist zwar „nur“ ein solider Wert (Platz 6 in der Liga), aber wirklich negativ hat sich das alles nicht ausgewirkt, denn Riessersee stellte in der Hauptrunde das fairste Team der Liga (Durchschnitt 8.92 Min/Sp) und musste folglich auch nur zu 180 Unterzahlsituationen antreten, die zweitwenigsten in der Liga.
Fazit
Wir machen keinen Hehl daraus, der SCR ist selbstverständlich der haushohe Favorit im Duell mit den Eispiraten. Die Sachsen werden es als Außenseiter schwer haben, zumal sich in einer langen best-of-seven Serie meistens eh der Favorit durchsetzt. Aber für Crimmitschau geht es im Gegensatz zu den Garmischern wahrlich nicht um den unbedingten Einzug ins Halbfinale. In erster Linie werden die Collins-Schützlinge versuchen, den SCR so gut es geht zu ärgern und nach Möglichkeit ein drittes Heimspiel zu erzwingen. Und beim Rest: Schaun mer einfach mal!
Rot-Weiß und seine Anhängerschaft kann jedenfalls ganz entspannt und ohne Druck in die Serie gehen. 10 Jahre ohne Playoff-Eishockey im Sahnpark war eine lange Zeit, jetzt darf mal wieder genossen werden!